Gilmar no 'Berliner Zeitung'

Por antonio francisco
Para quem lê alemão ou tem paciência para dissecar uma tradução guglada, no link do Berliner Zeitung há um texto, datado de hoje, sobre Gilmar Mendes.
De Berliner Zeitung

GILMAR MENDES, BRASILIENS HÖCHSTER RICHTER, KENNT UND SCHÄTZT DIE DEUTSCHEN, HÄLT SIE ABER FÜR WENIG FLEXIBEL UND TOLERANT

In guter Verfassung

Von Wolfgang Kunath 
BRASILIA. Die meisten Büros sind längst dunkel, außer den Nachtportiers arbeitet kaum noch jemand in dem Glaskubus unter dem riesigen, weit vorstehenden Flachdach, das von elegant emporstrebenden, jetzt gleißend angestrahlten weißen Säulen gehalten wird. Die elf Richter von Brasiliens Oberstem Bundesgerichts haben das Privileg, in einem Gebäude des großen Architekten Oscar Niemeyer zu arbeiten, direkt am Platz der drei Gewalten in Brasília: Gegenüber liegt der Amtssitz des Präsidenten, links ragen auf einer Anhöhe - denn alle Gewalt geht vom Volke aus - die Zwillingstürme der Volksvertretung in den Nachthimmel. Vor dreißig Jahren war der junge Diplomat Gilmar Mendes in Bonn stationiert, und wohl niemand - wahrscheinlich nicht einmal er selbst - hat damals gedacht, dass er eines Tages Präsident des Obersten Bundesgerichts werden und in dem Architektur-Klassiker arbeiten könnte. Er blieb bis 1982 in Bonn; sein offizieller Lebenslauf verzeichnet, dass ihm damals das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde. Ende der Achtziger kam er zum zweiten Mal, diesmal, um in Münster bei dem renommierten Juristen Hans-Uwe Erichsen zu promovieren. Den Kontakt zu Deutschland hat er nie abreißen lassen: Er reist immer wieder hin, er pflegt die Beziehungen zur deutschen Botschaft ebenso wie die zur deutsch-brasilianischen Juristen-Vereinigung, er spricht immer noch ordentlich Deutsch. Seine Kinder, sagt er, können es "perfekt". Das Gespräch, das Gilmar Mendes' Bild von Deutschland zum Thema hat, beginnt natürlich mit einem Vergleich zwischen dem deutschen und brasilianischen Rechtssystem. Deutschlands Zivilrecht stand schon 1916 Modell für das brasilianische, sagt Mendes, und die deutsche Juristerei "war immer stark präsent in Brasilien". Ach herrje - immer? Atmen die brasilianischen Verfassungen von 1934 und 1937 etwa auch deutschen Zeitgeist? "Die von '34 war der Weimarer ähnlich, aber die von '37 nennen wir "a polaca", die polnische, weil sie das autoritäre Staatsmodell von Marschall Pilsudski nachahmte", antwortet Mendes. 1988, als Brasilien nach zweieinhalb Jahrzehnten Militärdiktatur seine heute gültige Verfassung schrieb, war "das deutsche Grundgesetz ein wichtiges Modell - dieser Einfluss ist ist ganz evident". Mendes verschwindet kurz aus dem riesigen, neonerleuchteten Besprechungszimmer und kommt zurück mit einem abgegriffenen Buch: "Die abstrakte Normenkontrolle vor dem Bundesverfassungsgericht und vor dem brasilianischen Supremo Tribunal Federal" - seine Dissertation aus Münster. Die grundlegenden Prinzipien des Staatswesens und die allgemeinen Rechte des Bürgers zu Beginn, der klare Aufbau des Gesetzeswerkes von 1988 - das führt Mendes auf den deutschen Einfluss zurück. Aber warum ist dann Brasiliens Verfassung dreimal so lang wie das Grundgesetz? "Das Grundgesetz wollte nichts über soziale Rechte aussagen, und bei uns sollten sie ganz bewusst Teil der Verfassung sein", erläutert Mendes, "uns Richtern macht das natürlich das Leben schwer." Denn wenn der Mindestlohn Verfassungsrang hat und zugleich Bemessungsgröße für das ebenfalls in der Verfassung festgelegte Sozialversicherungssystem ist, dann müssen sich die Obersten Richter unentwegt mit dem befassen, was in Deutschland auf unteren Ebenen der Justizhierarchie verhandelt wird. Richter erkennen Schuld, verhängen Strafen - wie gehen die Deutschen mit ihrer historischen Schuld um? "Es ist ein unendliches Thema, und mir imponiert das Verantwortungsgefühl, mit dem die Deutschen es behandeln", antwortet er, und nach einer kleinen Pause, in der ihm durch den Kopf gegangen sein mag, dass beileibe nicht alle Deutschen sehr verantwortungsvoll damit umgehen, fügt er hinzu: "Aber ich würde nicht sagen, dass man sich heute in Deutschland übertrieben intensiv damit befasst." "Man muss diese Zeit immer neu verarbeiten", sagt er, streift kurz die Militärdiktatur-Zeit in Brasilien, erwähnt die, allerdings nicht sehr lebhafte, gegenwärtige Debatte über die Folterer von damals, fügt natürlich hinzu, dass die Dimensionen völlig unvergleichbar seien - und zieht sich wieder auf die Position des Juristen zurück: "Das Grundgesetz war ja als Anti-Weimar, als Prävention gegen Autoritarismus gedacht." Deutsche Freunde von ihm, fügt er dann noch hinzu, sähen in der Debatte um die Nazi-Vergangenheit "eine gewisse Übertreibung, so als wär's eine Selbst-Tortur." Aber "dazu kann ich als reiner Beobachter nichts sagen". Diese behutsame Zurückhaltung kontrastiert mit der Stellung des obersten Richters in der brasilianischen Öffentlichkeit. Mendes und seine zehn Kollegen stehen unentwegt in der Zeitung, nehmen zu aktuellen Fragen Stellung, streiten sogar lauthals - ganz anders als die dritte Gewalt in Deutschland, deren höchste Vertreter in der Öffentlichkeit kaum bekannt sind und die sich meist nur dann in der Presse äußern, wenn sie der Urteilsschelte entgegentreten wollen. Gerade Mendes ist umstritten. Als er 2002 zum Bundesrichter ernannt wurde, schrieb ein prominenter linksgerichteter Jurist, Mendes sei ein "Risiko für den Schutz des Rechts, für die Korruptionsbekämpfung". Und als er die öffentliche Finanzierung der Landlosenbewegung als illegitim geißelte, weil deren Mitglieder mit illegalen Methoden vorgingen, hielt man ihm Parteilichkeit vor - der oberste Richter ist als Besitzer einer florierenden Privatschule nicht nur erfolgreicher Unternehmer, sondern auch Großgrundbesitzer. Warum also steht der oberste Richter in Brasilien, ganz anders als in Deutschland, so im Rampenlicht? Die Antwort klingt nach Ausflucht: Die Richter in Brasilien seien seit 1988 eben an Freimütigkeit gewöhnt. Und auf Nachfrage fügt er nur noch hinzu, dass er nicht nur Bundesrichter, sondern auch Chef der Justizverwaltung sei und deshalb öfter mal kritisiert werde. So wie er es für einen "Mythos" hält, dass die Brasilianer wenig arbeiten, so wenig ist er vom überschäumenden Arbeitsethos überzeugt, das den Deutschen zugeschrieben wird oder den sie sich selber zuschreiben: "Ich war 1989 in Deutschland, ich erinnere mich, dass die Ostdeutschen als wenig arbeitsam kritisiert wurden, nachdem die erste Verbrüderung vorbei war." Am Institut in Münster sei es sehr effizient zugegangen, aber andererseits "sind die Deutschen nicht sehr flexibel. Um 18 Uhr ist eben Feierabend." Cordialidade, Herzlichkeit: Auf diese Eigenschaft, die ihrem Nationalcharakter zugerechnet wird, sind die Brasilianer besonders stolz - wie steht es damit in Deutschland? "In Nordrhein-Westfalen merkt man schon eine gewisse Kälte, aber in Süddeutschland drückt man sich anders aus", meint Mendes. Manchmal sei im Alltagsleben "ein gewisser Grad an Ungeduld und Intoleranz" zu spüren. Wo zum Beispiel? "Ach, wenn geschimpft wird, die Musik sei zu laut", sagt Mendes - eine Bemerkung, die für Brasilianer so typisch ist wie die Klage der Deutschen, dass es in Brasilien immer zu laut zugehe. Die Art, bestimmte Dinge sehr direkt auszusprechen, wo sich Brasilianer eher in vermeidende Diskretion flüchten, falle auf; brasilianische Studenten würden sich immer wieder darüber beklagen. Er selber freilich und seine Familie hätten "viel Hilfe, viel Solidarität erfahren" - der Besitzer seiner Wohnung habe ausländische Mieter sogar lieber genommen. Dennoch: "Der Unterschied zwischen Bekannter und Freund wird sehr klar in Deutschland." Und Negatives? "Ach", sagt er leichthin, "ich lebe schon so lange nicht mehr in Deutschland - das hab' ich vergessen." ------------------------------ Oktoberfest und Mercedes Klischees: Zweiter Weltkrieg und Deutsche Einheit, Bier, Würstchen und Sauerkraut, die Burgen längs des Rheins, schöne Landschaften, Pünktlichkeit und Ordnungsliebe, Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein, blonde Haare und blaue Augen, Automarken wie Mercedes, BMW oder Volkswagen - es sind die auch aus anderen Ländern bekannten und erwarteten Klischees und Stereotype, die Brasilianer mit Deutschland assoziieren. Natürlich gehören auch Fußball und Beckenbauer dazu. Viele Leute halten eher München als Berlin für die deutsche Hauptstadt und Krachlederne für ein typisch deutsches Kleidungsstück. Vor allem das Oktoberfest: In der Stadt Blumenau im Süden des Landes gründeten deutsche Einwanderer 1984 ein Oktoberfest nach bayerischem Vorbild. Seither hat sich das Bild gefestigt, Bier und Humptata-Bands seien DIE deutsche Kultur. Laut amtlicher Statistik haben seit seiner Gründung auf dem Blumenauer Oktoberfest mehr als 16 Millionen Besucher rund zehn Millionen Liter Bier getrunken. ------------------------------ Foto: Gilmar Mendes während einer Verhandlung Foto: Brasiliens Präsident Lula auf dem Oktoberfest in Blumenau